Was ist ein "heilsamer Schock"? - Sind Rückführungen hilfreich bei Depressionen?

Im Buch Grundlagen und Praxis der Rückführungstherapie wird ein Fallbeispiel eines ehemaligen Bomber-Piloten im 2. Weltkrieg erwähnt, der im heutigen Leben depressiv ist (respektiv war) und in einer Rückführung einen heilsamen Schock erlebte.

Hier ein Auszug:

Der heilsame Schock

Es genügt dem Menschen mitunter nicht, bloß zu erfahren, was er durch sein destruktives Verhalten anrichten könnte. Er muss es meistens an Leib und Seele erleben, welche Folgen seine Handlungen konkret hatten. Daher wird so mancher mitten in den „Greuel der Verwüstung“ (Mt 24,15; Mk 13,14; Dan 9,27 u.a.) gestellt, die er selbst angerichtet hat. Und wenn er innerlich reif genug ist, wenn in ihm das echte Gewissen schon erwacht ist, werden seine Augen geöffnet und die große Wende in seiner inneren Haltung kann beginnen. Als Auslöser dafür kann er einen Schock erleiden und – während der Umbruch in seiner Seele vor sich geht – einer Dauerkonfrontation mit seiner speziellen Verschuldung und deswegen einer – oft schweren – Depression ausgesetzt sein. – Ein Beispiel:

Der Bomberpilot

Ein 30-jähriger Klient erzählt, seit er sich erinnern könne, habe er Depressionen. Und nicht nur dies: er hatte schon als Kind immer wieder schreckliche Visionen, die ihm Angst machten. Er sah Verwüstungen, verstümmelte Leichen, brennende Körper. Auch seine Träume handelten nicht selten von Krieg und Zerstörung. Solche Visionen und Träume traten schubweise auf; dann hatte er für eine Weile, oft für Monate, wieder Ruhe.

 Er versuchte, seinen Eltern von seinen inneren Erlebnissen zu erzählen. Diese meinten, er solle nicht so viel phantasieren, und als die „Phantasien“ wiederkehrten, hörte er, wie seine Eltern (denen er unbemerkt zugehört hatte) davon sprachen, ihn – wie der Klient wörtlich sagte – „der Psychiatrie auszuliefern“. Von da an teilte er niemandem mehr etwas von dem mit, was in ihm vor sich ging. Auch sonst wurde er schweigsam, trug seine schwere Last allein und fühlte sich immer wieder isoliert, obwohl seine Eltern und seine vier Geschwister sehr liebevoll zu ihm waren. Obschon überdurchschnittlich intelligent, waren seine Schulleistungen äußerst mäßig; er wurde – da die Eltern vermögend waren – in diverse Privatschulen geschickt, konnte aber keine Schule, keine Lehre erfolgreich abschließen. Erst als er über zwanzig war, gelang es ihm, sich als Pfleger auszubilden und danach diesen Beruf – wenn auch nicht vollzeitlich – auszuüben. Er musste jedoch wegen der depressiven Schübe seine Arbeit manchmal tagelang ausfallen lassen. Als die Ärztin, die die Insassen betreute, darauf aufmerksam wurde, riet sie ihm, nicht bloß wie bisher zum Psychiater zu gehen, um Beruhigungspillen zu holen, sondern sich an einen Therapeuten zu wenden.

Er folgte dem Rat, begann sogar Rückführungen zu machen, und nach einigen Sitzungen wurde er offensichtlich in seine vorangehende Inkarnation versetzt. Dabei erlebte er folgendes:

Er sitzt im Cockpit eines Flugzeuges und fühlt sich durchaus wohl. Alles ist ihm hier bestens vertraut, neben ihm als Copilot ein Freund, hinter ihm der Navigator, auch ein guter Kamerad. Das Flugzeug ist ein zweimotoriger Jagdbomber, die Staffel fliegt Einsätze an eine Küste in Süditalien. Es ist der Zweite Weltkrieg, die Zeit der Wende: vermutlich im Sommer 1943, die Invasion soll vorbereitet werden.

Die Küste ist von Mussolini-treuen Soldaten dicht besetzt, das Feuer der FLAK (Flugzeugabwehr-Kanonen) rege. Mehrere Bomber werden getroffen, auch die Maschine des heutigen Klienten muss im Hinterland notlanden. Der Pilot bleibt unverletzt; er rettet sich aus dem Flugzeug, bevor es explodiert, die anderen Besatzungsmitglieder sterben.

Der Flieger läuft, anstatt sich – wie die anderen Abgeschossenen – im Hinterland zu verstecken, wie unter Zwang auf die Küste zu und damit in die Mitte des Infernos, wo er dem „Greuel der Verwüstung“, an dessen Entstehung er selbst beteiligt war, von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht.

Nicht weit von der Küste liegt ein Dörfchen, viele Häuser sind bereits von Bomben zerstört. Der Flieger hört Dröhnen, eine Staffel von Jagdbombern – gelenkt von seinen Kameraden – nähert sich, eine Frau läuft mit einem Kind an der Hand auf ein Haus zu, eine Bombe schlägt ein; der Flieger, der vom Luftdruck weggeschleudert, aber nur geringfügig verletzt wird, sieht, wie die Frau zerfetzt wird und der Körper des noch lebenden Kindes brennt, bis er dann ganz verkohlt. Der Klient erkennt in diesen schrecklichen Bildern seine Visionen und Träume aus der Kindheit.

Während andere Abgeschossene nur daran denken, wie sie sich retten und so lange verstecken können, bis die bald geplante Invasion stattfindet, wird der Flieger nur von einer einzigen Frage bewegt, ja regelrecht geplagt: „Wie kann ich weiterexistieren? Wie kann ich noch weiterleben?“ – weiterleben mit dem klaren Wissen, dass er, der ja seit Tagen Einsätze flog, zum Entstehen all des Greuels und all des Leidens selbst so viel beigetragen hat?

Und das Bild der verstümmelten Frau und des verkohlten Kindes plagt ihn unablässig weiter und plagt ihn heute noch, ein gutes halbes Jahrhundert nach jenen Ereignissen: in der heutigen Inkarnation, bis er den erlittenen Schock – unter viel Leiden – aufarbeiten kann.

Als Pilot bleibt er zwar damals am Leib praktisch unverletzt, dafür ist seine Seele umso tiefer verwundet. Er irrt tagelang umher, wird nach der inzwischen erfolgten Invasion von eigenen Landsleuten gefunden, versorgt und repatriiert, und da er Schrei- und Weinkrämpfe erleidet, in seinem Heimatland in eine psychiatrische Klinik gebracht, wo er nach einigen Jahren stirbt.

Die Konfrontation

Viele, ja unzählige, die mit dem, was sie selbst angerichtet haben, konfrontiert werden, gehen an den Verwüstungen achtlos vorbei: „Es ist ja schließlich Krieg, und wo gekämpft wird, dort wird auch gestorben.“ Und zahllose fühlen sich im Land der Verwüstung sogar wohl: Destruktion ist ihr Element, sie sind ja noch Krieger.

Aber auch ein Krieger ist (auch wenn dies nicht immer offensichtlich ist) ein Mensch, und jeder Mensch wächst innerlich unentwegt. Kann er den „Greuel der Verwüstung“ nicht mehr als Triumph seines Sieges empfinden, beginnt er sich in seiner Rolle als Krieger ungemütlich zu fühlen, so wird dafür gesorgt, dass er mit dem, was er tut oder getan hat, konfrontiert wird und seine Augen aufgehen dafür, was er eigentlich tut oder was er getan hat.

Sind ihm die Augen einmal aufgegangen, so ist für ihn die Zeit der Destruktionen endgültig vorbei. Im Gegenzug bricht für ihn die Zeit der Konfrontationen mit all dem an, was er als Krieger angerichtet hat. Wenn aber diese Zeit gekommen ist, dann können sich die Konfrontationen von frühester Kindheit an melden, wie es auch bei dem ehemaligen Kriegsflieger geschah.

Der Schock und die Krieger

Wenn wir wissen, wenn wir wirklich – von innen her – wissen, was wir tun, so können wir vieles nicht mehr tun, was wir früher getan haben. Oft brauchen wir einen Schock, damit wir aufwachen und erkennen, was wir eigentlich tun. Und der Schock kann uns so durchrütteln, dass wir das Erdbeben in unserer Seele noch in den nachfolgenden Inkarnationen spüren.

Wenn wir uns aber durchrütteln lassen, ohne zu flüchten, und zulassen, dass das Erdbeben in unserer Seele das bewirkt, was es bewirken soll, nämlich eine radikale innere Wandlung, so ist der Schock, den wir erlitten haben, ein heilsamer Schock. Und wir werden dafür einmal – aus ganzem Herzen – danken.

Dies gilt für jene Unzähligen, die gestern noch Krieger oder auf eine andere Weise destruktiv waren, Menschen und Tiere quälten, beispielsweise mit ihren „wissenschaftlichen“ Versuchen geradezu folterten. Aus den ehemaligen Kriegern und Folterknechten werden jedoch, wenn sie innerlich reifer werden, Kämpfer.

Kämpfer braucht es in allen Lebenslagen und auf allen Entwicklungsstufen, nicht aber Krieger. Krieger verwandeln jede Lebenslage im Handumdrehen in einen Kriegsschauplatz; Kämpfer hingegen bedürfen keines kriegerischen Gebarens. Sie kämpfen ja nicht gegen etwas, sondern für etwas. Und wenn sie so weit sind, dass sie sich für alle einsetzen, so gleicht ihr „Kampf“ eher dem Gesäusel der Abendbrise als einem auffrischenden kalten Nordwind oder gar einem Orkan. Denn die ehemaligen (nun „abgerüsteten“) Krieger versuchen – als heutige Kämpfer – bloß, die Menschen zur Einsicht zu führen, und falls sie sie drängen, so tun sie es so behutsam und so liebevoll, dass niemandem in den Sinn kommt, auch sie könnten einst Krieger gewesen sein.

Nun, der Weg bis dahin ist – selbst nach einem heilsamen Schock – noch lang. Der Mensch muss sich immer wieder selbst anstrengen, um seine Aggressivität und seine naturgegebene Destruktivität zu überwinden. Doch der Schock gibt ihm einen mächtigen Impuls dazu und fordert seine Einsichtsfähigkeit heraus, wodurch sein weiterer Lernprozess eine Beschleunigung erfahren kann.

Dies widerfährt auch dem ehemaligen Kampfflieger. So weitläufig auch der Weg der Genesung nach dem Schock ist, führt er schließlich doch zur Verwandlung des Menschen. Die Genesung besteht für den Klienten nämlich nicht bloß darin, dass er von seiner Depression vollständig befreit wird – was allerdings ebenfalls überaus wichtig ist. Er wird ein neuer Mensch mit dem nötigen Selbstbewusstsein und beachtlicher seelischer Stärke, und wird auch tiefgläubig im Sinne echter Spiritualität. Seine gründlichen und äußerst differenzierten Erfahrungen mit den Erlebnissen in seinen langjährigen Rückführungen ermöglichen es ihm schließlich, selbst therapeutisch tätig zu sein. Er fängt zudem an, seine Erlebnisse in seinen depressiven Schüben seit der Kindheit aufzuschreiben, um sie eines Tages zu publizieren, damit er anderen, die Depressionen ausgesetzt sind, einen Wegweiser zur Genesung und Hilfe zum Selbstverständnis bieten kann.